Mit dem Glas stirbt Kultur

Montag, 28. März 2011

Glass can do it!!! Traditionelle Kreativität und globale Kraft in Nordböhmen

Nach einem Hilferuf des Glaskünstlers und Schuldirektors Frantisek Janák startete die amerikanische Kunsthistorikerin Amy Brabender im Dezember 2009 eine internationale Petition zur Rettung der von der Schließung bedrohten ältesten Glasfachschule der Welt im nordböhmischen Kamenický Senov: Über 600 Künstler und Glasfreunde der Internationalen Studioglasbewegung folgten. P1020478
Zum 1. April ist die Schule gerettet – für weitere 155 Jahre!
Klicken Sie hier für die Petition
“Glass is in our hearts and we want keep it!!”
fügte Elizabeth Sinková ihrer Unterschrift hinzu.

Im September 2010 entstand daraus in Wisconsin/USA die n.g.o.
„The International Glass Alliance“.
Ein Ziel der Organisation ist es die reiche Glastradition insbesondere der nordböhmischen Region zu bewahren und die kulturellen, künstlerischen und wirtschaftlichen Werte für Tschechien und die Welt zu erhalten. Die Region soll – über amerikanische und europäische Universitäten und die tschechischen Glasfachschulen und Akademien – eine Plattform für die Ausbildung in Glas und den studentischen Austausch werden.
P1020388Ein weiteres Ziel ist die Anerkennung der nordböhmischen Glasregion als UNESCO Welterbe: Die Region ist die letzte, die eine vollständige Glas-Infrastruktur mit Schulen, Glashütten, Meisterwerkstätten, Ateliers, Museen etc. aufweist.
Lesen Sie hier den vollständigen Aufruf von Peter Rath, dem Botschafter für grenzüberschreitende Tradition und Kreativität in Glas!
International-Glass-Alliance (doc, 33 KB)

Zum Wiederlesen: Das Glas im Blick nach vorn

Montag, 6. September 2010

Gibt es eine Chance für das Glas?

Aus der Studioglas-Zeitschrift Glashaus 3/2010
Glas am Scheideweg?

Traditionelles Können, gepaart mit der kreativen Energie auch gegen den Strom der Zeit Neues zu schaffen – diese Kombination überlieferter Kompetenzen und innovativen Muts findet sich quer durch die Glasgeschichte: Mit ihr entwickelten böhmische Glasleute der Barockzeit in der verwüsteten Landschaft des Dreißigjährigen Kriegs die Technologie und Ästhetik des Glasschnitts und ließen das Glasveredler- und Glashandelszentrum um Haida/Nový Bor aufblühen; und ähnlich gelang 2009 in derselben Glasregion ein neuer Aufschwung gegen die Rezession, mit Kreativkräften wie Petr Novotný und František Janák und unter Einbezug der internationalen Studioglasszene.
Oder das Beispiel der Glashütte Theresienthal: 1836 wurde sie als eine frühe bayerische Aktiengesellschaft gegründet, um mit raffinierten Luxusgläsern auf den Zug der Industrialisierung aufzuspringen – mit demselben Konzept, das ab 2004 nach zwei Insolvenzen das „Wunder von Theresienthal“ ermöglichte, scheinbar gegen jede wirtschaftliche Vernunft und Wahrscheinlichkeit, aber mit zähem persönlichen Einsatz der Belegschaft und weniger Enthusiasten.
Diese und andere „Glaswunder“ ließen sich Anfang Mai die Präsidiumsmitglieder des Bayerischen Landtags in der Dauerausstellung des Glasmuseum Frauenau vor Augen führen. Hintergrund des Besuchs waren die mit rücksichtslosem Kalkül durchgezogenen Schließungen der Traditionsglashütten in Spiegelau und Riedlhütte; in der Diskussion nach der Führung hörten die Politiker auch von ratlosen Riedlhüttler Glasmachern und –schleifern, denen Konzepte und Existenzgründungshilfe fehlen, um irgendwie weiter Glas machen zu können, oder von Theresienthaler Problemen Lehrlinge zu gewinnen in einer öffentlichen Stimmung, die den Glasmanufakturen jede Zukunft abspricht. Versprochen wurden schließlich die nötigen „Rahmenbedingungen“, um nicht jetzt das Praxiswissen der Glasleute zu verschleudern, sondern als Chance nutzbar zu machen. Nachdem ein Jahr lang zwischen Region und Regierung die Zuständigkeit für Lösungsansätze in der „Glaskrise“ hin- und hergeschoben wurde, könnte die Politik nun also doch in Bewegung gekommen sein: Nur wenige Tage später luden die Regierung von Niederbayern und die regionale Wirtschaftsförderstelle Glasfirmen und experten in die Glasfachschule Zwiesel zur Diskussion einer Projektplattform „Netzwerk Glas“ ein, die ab Oktober die firmenübergreifende Zusammenarbeit für hochwertige Produktentwicklung und internationale Vermarktung fördern soll. Auch um die Mitwirkung von Glaskünstlern wurde lebhaft geworben.
P1000442Deren Skepsis, und mehr noch die der arbeitslosen Glasmacher ist nachvollziehbar. Entziehen sie sich jedoch jetzt diesen Weichenstellungen, könnten sie den endgültigen Niedergang nicht nur des ostbayerischen Glases als „self-fulfilling prophecies“ mit besiegeln. Nie zuvor haben die Glasbetriebe eine Überwindung ihrer Konkurrenzen auch nur anvisiert – nun sollten sie beim Wort genommen werden. Nun muss beharrlich darauf gepocht werden, dass die Produktions- und Gestaltungsvielfalt des Glases gemeinsam genutzt wird, und dass nicht nur Glaskünstler, sondern auch die Glasarbeiter und –handwerker vor Ort eingebunden werden, weil ihre Kompetenzen unverzichtbar und nicht rückholbar sind. Dabei müssen wir alle uns von der kurzsichtigen Arroganz lösen, die den Niedergang der Glasmanufakturen unter neoliberalen Vorzeichen als unvermeidlich und des Jammerns nicht wert abtut. Können wir den Glauben an die Innovationskraft des Glases wiedergewinnen, wollen wir diese aktiv einfordern?
„But think again“, schreibt Milly Frances im letzten Newsletter der britischen Contemporary Glass Society eben dies der Glaskunstszene ins Gewissen: “Wir sind nichts anders als Produkte der Vergangenheit, und als Glasmacher sind wir einem besonderen beruflichen Erbe verpflichtet. In Zeiten der Rezession ist vielleicht der beste Weg nach vorn der reflektierende Blick rückwärts, um Verluste abzuschätzen und unserer Industrie Ehrerbietung zu erweisen, bevor wir uns mit einer zeitgemäßen Vision neu für die Zukunft formieren.“
(Glass Network 36, Juni 2010)

Katharina Eisch-Angus


Lesen Sie in aktueller Fassung die Forderungen "Für einen Glaspakt mit dem Glas!" --> bitte anklicken: Konzept-Glaspakt (pdf, 84 KB)

Mittwoch, 25. August 2010

Alfons Hannes ist gestorben.

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Alfons Hannes mit Erwin Eisch, Januar 2010

Pfiad di Alfons!

Alfons Hannes – das war unser Aurer Bürgermeister, er war alles und der einzige.
Alfons Hannes, das war Glas und Kultur, Aufbau und Tatkraft, Menschlichkeit, Freundschaft und Toleranz.

Und, in seinen letzten Jahren, auch Trauer und Enttäuschung.

Alfons Hannes war Glasgraveur, Gewerkschafter und Sozialist
bürgerlicher Kunst- und Heimatfreund
schlitzohriges Nachkriegs-Politiker-Schwergewicht
ein Menschenfreund, ein Künstlerfreund und Frauenfreund
Archivar und Dokumentarist der Glaskultur und ihrer Menschen – überall und wo auch immer
ein Reisender, ein Grenzgänger, ein Weltenbummler, ein wanderndes Geschichts- und Geschichtenbuch, ein Freund der Arche an all ihren Reiseorten

All das kam zusammen beim Bier, in seinem Lachen, im Gesang.

Wir werden ihn vermissen. DANKE

Samstag, 27. März 2010

Bitte füttern: “Glaskrisen-Hilfe” vom Gartenzwerg zur Autobahn

Piraten staunen:
Endlich hat uns heute unsere Regionalpolitik via “Bayerwald-Bote” (BB) in vorbildlicher interkommunaler Zusammenarbeit über die echt innovative Lösung der “Glas-Krise” aufgeklärt:

  • 10 Minuten bis zur nächsten Autobahn!!
  • Mehr Geld zur Reparatur der Frauenauer Dorfstraßen!!!
  • Gewerbegebiete und Firmenansiedlung sogar über die Gemeindegrenzen, so wie mit “Quelle” in Fürth!!!!
(... wie gehabt, das Glas ist eh passé... PP)

Hatten wir all das nicht schon mal? Zonenrandpolitik vom Feinsten, sagt der Pirat, wie im besten Betonzeitalter! Roaring Seventies, Fortschritt ...rrrrrrRRRespekt!
(Wie oft muss man dazusagen, dass es in Deutschland gar keinen Zusammenhang mehr gibt zwischen Industrieansiedlung und Autobahnnähe? Wie kürzlich noch einmal vom Verkehrsexperten Dr. T. Hofreiter am Beispiel der Stadt Hof nachgewiesen...)

Aber nein, es gibt doch noch das innovative Element in den Autobahnbreitbandköpfen. Die Region fordert nun auch:
  • In 10 Minuten zur Datenautobahn!
(Und weil die Frauenauer inzwischen schon gespannt haben dass sie doch längst Breitband haben und das Dorf trotzdem immer weiter stirbt, fordern sie jetzt sogar eine 16000er Leitung! RRRRRRespekt! Da kommen gleich alle entlassenen Glasmacher mit Vollgas wieder zurück!

Respekt, sagt der Pirat vor soviel betoniertem Traditionsbewusstsein in superschnellem Rückwärtsgang! Und was für ein toller k.o.-Vorwand ist doch die Glaskrise, um schon wieder Millionen Euros im Straßenbau zu verpulvern– anstelle mit einem Bruchteil des Geldes ...
  • gezielt Arbeitsplätze im Glas zu fördern
  • gezielt in das Wissen der Glasmacher zu investieren
  • Glas-Design und -Produktion vor Ort zu entwickeln
  • neue Institutionen für Forschung, Produktentwicklung, Existenzgründung zu unterstützen (entsprechende Ideen aus der Region werden derzeit gerade politisch abgewürgt...)
  • Messeauftritte und neue Vertriebswege für die Glashersteller zu fördern
  • eine gemeinsame Plattform für das Glas im Bayerischen Wald zu schaffen und Zusammenarbeit zu koordinieren
  • neue Glasproduktions-Ideen für die leeren Glashütten und die Gloserer in Spiegelau und Riedlhütte auszuloten
  • die geschlossenen Frachtbahnhöfe entlang der Gläsernen Waldbahn wiederzueröffnen - wenn es denn tatsächlich mal ein Transportproblem für alte und neue Industrieprodukte gibt
  • innovative Ansätze zu diskutieren, wie wieder schönes Glas im Bayerischen Wald gemacht und in der Welt verkauft werden kann - mit unseren Glasmachern, Glaskünstlern, Glastechnikern!
(vgl. dazu Fuer-einen-Glaspakt-mit-dem-Glas (pdf, 25 KB))

Piraten fordern: Kein Geld für provinzielle Zonenrand-Autopolitik – sondern ehrliche Unterstützung von kreativen Glas-Ideen für die Region!

Aber, sagt der echt innovative High-Speed-Politiker: Das stimmt doch gar nicht, dass das Glas gar nicht vorkommt im großen Krisenmanagement. Man höre:
“Vom Gläsernen Garten bis zum Tourismus – so könnte eine touristische Vermarktungsstrategie heißen. Frauenau will mit den gläsernen Gärten Touristen locken (“Das kann vom Gartenzwerg bis zum Kunstwerk alles sein”). Glasarchengarten2Mit der Waldbahn (Gläserner Zug) (vgl. Verfall 1) geht es im Stundentakt nach Spiegelau zum FH-Standort. Vom Glas der Zukunft geht es mit der Bockerl-Bahn nach Riedlhütte ins nostalgische Glashüttendorf. Dort gibt es Glashandwerkskünste zu sehen, die aber auch mit modernen Medien vermittelt werden sollen.”
Der Pirat reibt sich die Augen: Ist in Riedlhütte nicht gerade eines der modernsten Kelchglaswerke in Europa plattgemacht worden, haben nicht gerade über 200 teils hochspezialisierte Glasarbeiter und -arbeiterinnen ihre Existenz verloren? Nostalgisches Glashüttendorf? Darf man die kuscheligen Vorführ-Glashandwerker dann auch füttern? Statt Hartz IV? Makaber, makaber!

Lesen Sie, was Resi aus der gefeierten Piraten-Theatergruppe aus dem Gasthaus Gistl dazu sagt (derzeit auf Tournee mit der Bühnenschau “Glasscherbenhaufen”):
Resi: "Ich bin jetzt eine Ein-Eurojoblerin in der Hütten, Markerl umbicken, die unsern sind ja schon schöna wie die mit den haklerten Schriftzeichen oben. Der Meine ist arbeitslos, erst sind alle Hütten verriedelt worden und dann verriegelt. Keine Hütten gibt’s nimmer, aber dafür gibt’s in einem jeden Wirtshaus jetzt eine Galsmacherbrotzeit und ein Glasmacherschnitzel, da fahren dann unsere Gäste direkt vom Glashotel mitten auf der Glasstraße vorbei an denen Kristallwelten und denen Glasoasen und hinein in das Glascafé zu einer zünftigen Glasmachertorten und auf d’Nacht gibt’s einen Glashüttenabend mit Glaskönigin und Glasmusik, wo man einen Gutschein gewinnen kann über drei Glasauro für eine Schauglashüttenbesichtigung am Glasstraßenfest. Und dann gibt’s die Gläsernen Gärten mit dene hohlgschnürlten Radieserl – und im Gläsernen Wald können wir spazieren gehen, der ist so schön, sagen’s in denen Prospekten, da braucht’s einen anderen eh nimmer. Das Netzwerk Glas ist so dicht, dass du dich fast verwickelst drin, das Gläserne Herz hat schon ein erhöhtes Infarktrisiko wegen dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das dapumpt’s nicht mehr…"
Und wer’s nicht glaubt lese das Original im BB 27.3.2010: BB-Glas-Krisen-Hilfe (pdf, 1,114 KB)

Dienstag, 19. Januar 2010

Das "gläserne Herz" hat aufgehört zu schlagen

Seit mehr als 550 Jahren wurde im Tal der Großen Ohe Glas produziert. Im letzten Jahrhundert entwickelte sich die Riedlhütte zu einem der führendsten Bleikristallwerke Europas.
Eine hochmotivierte, leistungsfähige Belegschaft hat ihr Bestes in die Firma eingebracht!
Vor fünf Jahren wurde die Firma Nachtmann an Riedel-Glas Kufstein verkauft - alle waren davon überzeugt, dass Riedlhütte weiter ausgebaut wird und ein "Zugpferd" im Riedel-Konzern bleibt.
Doch leider, am 23. Dezember 2009 endete die Ära Riedlhütte nach 550 Jahren für immer.
Alle Zugeständnisse und alles Kämpfen der Belegschaft, mit ihrem Betriebsrat an der Spitze, waren vergebens. Das "gläserne Herz" des Ortes und der Region hat aufgehört zu schlagen.
Zwei Kelchglaslinien und die Schleifautomaten incl. Säurepolieranage werden in das Werk Weiden verlagert - die Handproduktion, insbesondere die Überfangrömer werden in Nachbarländern gefertigt!
Weihnachten war für uns, obwohl wir persönlich nicht mehr direkt betriffen sind, traurig und wir waren alle sehr nachdenklich - kennen wir doch fast alle Galsmacher und ihre Familien, die jetzt ohne Arbeit sind und keine Perspektive haben.
Christa und Will Steger an Freunde und Bekannte, 17.1.2010


ARGUMENTE GEGEN DIE SCHLIESSUNG DER RIEDLHÜTTE:

Betriebsratsvorsitzender Georg Seidl in einem letzten, offenen Brief an Riedel
(Bitte anklicken, pdf-Datei öffnet sich) Georg-Seidl-an-Riedel (pdf, 98 KB)

Donnerstag, 24. Dezember 2009

Weihnachten im Scherbenwald: Das Ende der Riedlhütte

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23.12.2009: 160 Glasarbeiterinnen und Glasarbeiter der Riedlhütte zogen mit Kerzen aus ihrer Hütte aus. Um 17.04 Uhr heulten die Sirenen, läuteten die Glocken. (Foto: PNP)

Um 17.30 erreichte die PiratenPresse ein Brief von Sabine Macht aus Riedlhütte:

mir stehen grad rotz und wasser im gesicht...
ich gehe eben vorhin gassi, auf einem höhenweg oberhalb riedlhütte, gleich bei mir um die ecke, neblige dunkelheit...
da höre ich plötzlich gesang... männergesang...
aus richtung der glasfabrik...
die letzte belegschaft singt offenbar das/ein glosmacherlied vor der glashütte...
dann verstummt der gesang...
dann dreimal lautes sirenengeheul...
dann kirchenglocken... 15 minuten lang... bis gerade vorhin...
dann totenstille.

globalisierung hautnah.


das läuft heute sicher ausführlicher im dritten programm, ich hab gegen mittag presse und kamerateams vor der glashütte gesehen... und die ganzen bonzenschlitten der profitmaximierungsexperten aus kufstein und neumarkt standen auch da...


Den Abschied der Riedlhüttler von ihrer Glashütte - in der 550 Jahre lang Glas gemacht wurde - beschreibt der "Grafenauer Anzeiger" - bitte doppelklicken: Weihnachten-der-Traenen (doc, 30 KB)

Beitrag des Bayerischen Fernsehens, 23.12.2009 - Der Ofen ist aus:
http://www.br-online.de/bayerisches-fernsehen/schwaben-und-altbayern-aktuell/riedlhuette-nachtmann-scholz-ID1261579789421.xml

Donnerstag, 3. Dezember 2009

Das Glas im Blick nach vorn. Bericht aus der nordböhmischen Glasregion Nový Bor und Kamenický Šenov

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Ein trauriger Anblick ist es schon, wenn man an am Ortsende der nordböhmischen Stadt Nový Bor am größten Hohlglashersteller des Landes vorbeifährt: Um die hohen Fabrikblöcke des Crystalex-Konzern, wo auch zuletzt noch über 1000 Menschen in Maschinen- und Handfertigung Glas machten und veredelten, ist seit dem vergangenen Jahr das Gras gewachsen. Aus der Werksschließung resultiert eine Arbeitslosenzahl von 20 % – trotzdem aber wirkt die kleine Stadt lebhaft, in den Fabrik-Outlets und Glasgalerien drängen sich hochwertige Traditionsgläser neben gediegenen Designobjekten in Schliff und Farbglas. Ein Widerspruch? Oder eine Stadt, die einfach entschlossen ist, die Krise mit der Kraft ihrer Glastradition zu meistern?
In der dörflichen Nachbarstadt Kamenický Šenov machen sich Sorgen breit, die meisten der Hohlglas- und Lüsterbetriebe arbeiten unregelmäßig bzw. in Kurzarbeit. Der 81-jährige Glasgraveurmeister Václav Hubert ist hier aufgewachsen. Alle Höhen und Tiefen des böhmischen Glasgewerbes im 20. Jahrhundert hat er mitgemacht – aber erst seit der Wende, seitdem die Glashütten zu Spekulationsobjekten werden, möchte ihn manchmal sein Glaube an die Durchsetzungskraft guten Handwerks verlassen. „Aber man muss sich trotzdem bemühen“, seufzt er. Erst vor drei Jahren hat er seine Lehrertätigkeit an der Glasfachschule in Kamenický Šenov aufgegeben; nun fürchtet er, dass die älteste Glasfachschule der Welt aus Schülermangel mit der Fachschule in Nový Bor zusammengelegt oder ganz geschlossen werden könnte. „Aber die machen das schon richtig“, kommentiert er die Versuche, offensiv mit der Anwerbung talentierter ausländischer Studenten gegenzusteuern: und schließlich bringen die jungen Leuten aus aller Welt auch Leben und Ideen in den Ort.
P1020359In der Ausstellung „Tschechische Meister in Glashandwerk und Glaskunst“, die derzeit mit ihrer überbordenden Vielfalt im städtischen Glasmuseum in Nový Bor zu bewundern ist, kennt er die meisten Ausstellenden. Viele haben bei ihm ihr Handwerk gelernt und dann in Design, Produktion oder Kunst Karriere gemacht. Die Dauerausstellung des Museums ist auf die Darstellung der außergewöhnlichen Geschichte der Glas- und Handelsstadt Haida ausgerichtet; es spiegelt den Stolz der Stadt auf den Innovationsgeist und Erfindungsreichtum ihrer Glastechnologen und Entwerfer wie z. B. Friedrich Egermann, dessen Namen ein Betrieb bis heute weiterträgt.
Eine feste Sammlung moderner Glaskunst es künftig straßenabwärts im neu erbauten Glasmuseum der Glashütte Ajeto zu besichtigen geben. Vorläufig kann Petr Novotný durch die Kunstobjekte renommierter Glaskünstler führen, die im Rahmen des 10. Internationalen Glassymposiums im Juni in Nový Bor entstanden sind. „Der Petr ist ein richtiger Glasmacher“, lobt Václav Hubert, „und er hat Mut“! Ab 1989 hat Petr Novotný zusammen mit dem Designer Bořek Šípek und dem Technologen Libor Fafala eine ganz neue Glashütte gegründet, die sich mit einer unverwechselbaren, modernen Handschrift rasch einen festen Platz auf dem internationalen Markt erobert hat. Novotný nutzt bewusst die Begeisterung, den Ideenreichtum und den Ruf seiner Künstlerfreunde aus dem internationalen Studioglas; als Lehrer, Ofenbauer oder auch Sponsor unterstützt er die Glaskunst überall zwischen Istanbul, Frauenau oder den USA.
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Er weiß aber auch die besten Glasmacher zu holen und zu motivieren. Gerade heute musste für belgische Kunden ein Ajeto-Leuchtobjekt fertig gestellt werden, für das sich Novotný selber auf die Glasmacherbank gesetzt hat. Die Galerie im Ajeto-Besucherzentrum gibt einen ersten Eindruck, wie hier mutiges Design für Innenarchitektur und Tischkultur mit der virtuosen Ofenarbeit der Glasmacher zusammen spielt. Zwischen der Galerie, einem Glas-Restaurant und dem Glasmuseum befindet sich eine runde Ofenhalle mit markanter Dachkonstruktion, die Novotný „Studio“ nennt – tatsächlich aber produzieren hier sechs Glasmacherteams an vier Glasöfen, sieben Tagen die Woche, ausgefallene Trinkglasgarnituren und Repliken.
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In der eigentlichen Glashütte in einer alten Textilfabrik in der Nähe hat heute nach dem Sommerurlaub die Arbeit wieder begonnen; seit heute wird mit einer neuen Feuerungstechnik geschmolzen, und ausgerechnet heute ist auch noch ein Hafen gesprungen. Und auch Ajeto spürt die Krise durchaus: Im Frühjahr hat man mit der Verkleinerung des Glasofens von acht auf sechs Arbeitslöcher reagiert. „Es sind schwere Zeiten“, sagt Novotný, aber man wird sich durchkämpfen – so wie die nordböhmischen Glasleute mit ihrem kreativen Blick nach vorn auch die Krisen der vergangenen vierhundert Jahre gemeistert haben.
In der letzten Woche ist ein slowakischer Investor bei Crystalex eingestiegen. Wenn das Angebot ernst gemeint ist, wird das Werk bald wieder Gläser fertigen, allerdings nur noch maschinell: Das bringt wieder Arbeit, meint Petr Novotný, „und wir tragen dann die Handfertigung weiter“. Dabei meint er mit diesem „wir“ nicht nur die eigene Glashütte, sondern die Manufakturen und Studios und die vielen Initiativkräfte der Region um Nový Bor und Kamenický Šenov.

Katharina Eisch-Angus

August 2009

Sonntag, 4. Oktober 2009

Glaspakt-PP-Leser-Link

Einen Kommentar zur PP lesen Sie unter:
http://roemer-aus-theresienthal.de/blog/?p=81

Beachten Sie auch die verschiedenen Kommentare zum Thema "Glaspakt"!

Donnerstag, 1. Oktober 2009

Für einen Glaspakt mit dem Glas

Downloaden Sie hier die Programmschrift "Für einen Glaspakt mit dem Glas" von Katharina Eisch-Angus, die am 17. September an Ministerpräsident Seehofer und Regierungspräsident Grunwald, sowie an weitere Beteiligte geschickt wurde.Fuer-einen-Glaspakt-mit-dem-Glas (pdf, 25 KB)
Sie hat inzwischen eine rege Diskussion und viele weitere, positive Anregungen ausgelöst. Beteiligen Sie sich mit einem Kommentar in der PiratenPresse oder per Email an die >piraten@glasarche.eu<! Alle Zuschriften werden gesammelt und an die entsprechenden Arbeitsgruppen weitergeleitet.

Bild-047 Packen wir es an, nach dem Motto von Joseph Beuys - wie zitiert von Ines Kohl im Beitrag "Scherbenhaufen", im aktuellen Heft der "lichtung":
"Die einzige revolutionäre Kraft ist die Kraft der Kreativität!"

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(Bilder aus dem Glasmuseum Frauenau: Installation "Glashüttensterben", Glasgravur "Höfischer Prunk" von Christian Schmidt)

Sonntag, 6. September 2009

Sechs Busse aus Riedlhütte...

und ein weiterer Minibus der Lebenshilfe Grafenau machten sich am frühen Morgen des 27. August auf nach München, um dem Ministerpräsidenten ihre und die Probleme und Forderungen der Glasregion Bayerischer Wald zu unterbreiten:

Im großen Kuppelsaal der Staatskanzlei herrscht angespannte Stille. Die Politiker werfen sich sorgfältig vor den Kameras in Positur. Die Riedlhüttler folgen der Rede von Stephan Zettl, unterstützen die Forderungen mit entschiedenem Applaus: Kein „Politikum“, sondern „ernstgemeinte Hilfe“! Was unsere Region braucht: „Solidarität“, „Vertrauen“, „Mut“, „Verantwortung“, „Kraft“, „Hoffnung“, „Verpflichtung“. Auch „Wut“ wird ausgesprochen, „Angst“ und die Trauer um das „Ende einer Tradition“.
Verhaltene Reaktionen, erleichtertes Klatschen zu Seehofers Hilfsversprechen. Dann drängen die Glasarbeiter auf das Glasmacherlied – so wie ausgemacht. Aus 300 Kehlen gesungen wird es der Kuppelsaal zum ersten und zum letzten Mal gehört haben: „Denn Glas ist unser Leben, soll das Brot uns geben…“


Lesen Sie hier die Ansprache von Stephan Zettl
(bitte doppelklicken) Rede-fuer-die-Region (doc, 254 KB)

Seit den Streiks der 1960erJahre werden nun zum ersten Mal wieder die Glashüttenleute laut. Damit das möglich wurde, musste wohl auch noch die Spiegelauer Glashütte sterben, die letzte große und lebendige, handwerkliche Kelchglashütte.
Seit Jahrzehnten werden Glashütten geschlossen, ertragen es die Glasmacher und ihre Familien, wenn auf ihrem Rücken Konzerne, Wirtschaftstechnokraten und Unternehmerfamilien am Glas vorbei agieren. Erst jetzt hat es einer zu weit getrieben.

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Lesen Sie dazu zwei Beiträge der PiratenPresse:

Die PiratenPresse

aus der Gläsernen Arche

Übers Meer im Nirgendwo

schippert die Gläserne Arche. Mit ihr, immer treu, die Piratencrew. Donauobi moldauaufi bloggt die BordRedaktion. Piratensatire und schlimmere Wahrheiten, aus den Wässern zwischen Rachel und Lusen und Kubani.

Wer sind die Piraten, was geschah? Lesen Sie - samt Impressum:

Die Reise der Gläsernen Arche

Glasarchengarten3

PP Pragmatisch Praktisch kontraProduktiv

Kolloquium Kunst ǀ Design...
im Rahmen des SYMPOSIUMS: ZWISCHENWELTEN IN HEIßEM...
Bordredaktion - 2016-10-27 09:00
Meisterklassen Perspektiven...
Vom 31.Oktober 2016 bis 5. November 2016 organisiert...
Bordredaktion - 2016-10-27 08:55
Zwischenwelten in heißem...
Perspektiven des Graal-Glases im Fokus von Glasmacherei,...
Bordredaktion - 2016-06-22 15:37
Ahoi für die gläserne...
Eine neue Arche ist auf dem Weg durch Mitteldeutschland...
Bordredaktion - 2016-06-10 10:45
Die Arche über die Grenzen
Wenn Maria und Josef haufenweise durch die Lande ziehen...
Bordredaktion - 2015-12-27 10:48
Glasmachen ist Kulturerbe!
Am heutigen Freitag erreichte die Piraten diese freudige...
Bordredaktion - 2015-12-23 17:45
Weihnachten 2015 SAVE...
Bordredaktion - 2015-12-23 17:34
Abriss in Frauenau: Nun...
Ein Landschaftsbild, fotografiert von einem Piraten...
Bordredaktion - 2015-11-22 13:08

Mit an Bord der Glasarche...

Kommentare, Zuschriften, Beiträge an: piraten[at]glasarche.eu

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