Donnerstag, 3. Dezember 2009

Das Glas im Blick nach vorn. Bericht aus der nordböhmischen Glasregion Nový Bor und Kamenický Šenov

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Ein trauriger Anblick ist es schon, wenn man an am Ortsende der nordböhmischen Stadt Nový Bor am größten Hohlglashersteller des Landes vorbeifährt: Um die hohen Fabrikblöcke des Crystalex-Konzern, wo auch zuletzt noch über 1000 Menschen in Maschinen- und Handfertigung Glas machten und veredelten, ist seit dem vergangenen Jahr das Gras gewachsen. Aus der Werksschließung resultiert eine Arbeitslosenzahl von 20 % – trotzdem aber wirkt die kleine Stadt lebhaft, in den Fabrik-Outlets und Glasgalerien drängen sich hochwertige Traditionsgläser neben gediegenen Designobjekten in Schliff und Farbglas. Ein Widerspruch? Oder eine Stadt, die einfach entschlossen ist, die Krise mit der Kraft ihrer Glastradition zu meistern?
In der dörflichen Nachbarstadt Kamenický Šenov machen sich Sorgen breit, die meisten der Hohlglas- und Lüsterbetriebe arbeiten unregelmäßig bzw. in Kurzarbeit. Der 81-jährige Glasgraveurmeister Václav Hubert ist hier aufgewachsen. Alle Höhen und Tiefen des böhmischen Glasgewerbes im 20. Jahrhundert hat er mitgemacht – aber erst seit der Wende, seitdem die Glashütten zu Spekulationsobjekten werden, möchte ihn manchmal sein Glaube an die Durchsetzungskraft guten Handwerks verlassen. „Aber man muss sich trotzdem bemühen“, seufzt er. Erst vor drei Jahren hat er seine Lehrertätigkeit an der Glasfachschule in Kamenický Šenov aufgegeben; nun fürchtet er, dass die älteste Glasfachschule der Welt aus Schülermangel mit der Fachschule in Nový Bor zusammengelegt oder ganz geschlossen werden könnte. „Aber die machen das schon richtig“, kommentiert er die Versuche, offensiv mit der Anwerbung talentierter ausländischer Studenten gegenzusteuern: und schließlich bringen die jungen Leuten aus aller Welt auch Leben und Ideen in den Ort.
P1020359In der Ausstellung „Tschechische Meister in Glashandwerk und Glaskunst“, die derzeit mit ihrer überbordenden Vielfalt im städtischen Glasmuseum in Nový Bor zu bewundern ist, kennt er die meisten Ausstellenden. Viele haben bei ihm ihr Handwerk gelernt und dann in Design, Produktion oder Kunst Karriere gemacht. Die Dauerausstellung des Museums ist auf die Darstellung der außergewöhnlichen Geschichte der Glas- und Handelsstadt Haida ausgerichtet; es spiegelt den Stolz der Stadt auf den Innovationsgeist und Erfindungsreichtum ihrer Glastechnologen und Entwerfer wie z. B. Friedrich Egermann, dessen Namen ein Betrieb bis heute weiterträgt.
Eine feste Sammlung moderner Glaskunst es künftig straßenabwärts im neu erbauten Glasmuseum der Glashütte Ajeto zu besichtigen geben. Vorläufig kann Petr Novotný durch die Kunstobjekte renommierter Glaskünstler führen, die im Rahmen des 10. Internationalen Glassymposiums im Juni in Nový Bor entstanden sind. „Der Petr ist ein richtiger Glasmacher“, lobt Václav Hubert, „und er hat Mut“! Ab 1989 hat Petr Novotný zusammen mit dem Designer Bořek Šípek und dem Technologen Libor Fafala eine ganz neue Glashütte gegründet, die sich mit einer unverwechselbaren, modernen Handschrift rasch einen festen Platz auf dem internationalen Markt erobert hat. Novotný nutzt bewusst die Begeisterung, den Ideenreichtum und den Ruf seiner Künstlerfreunde aus dem internationalen Studioglas; als Lehrer, Ofenbauer oder auch Sponsor unterstützt er die Glaskunst überall zwischen Istanbul, Frauenau oder den USA.
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Er weiß aber auch die besten Glasmacher zu holen und zu motivieren. Gerade heute musste für belgische Kunden ein Ajeto-Leuchtobjekt fertig gestellt werden, für das sich Novotný selber auf die Glasmacherbank gesetzt hat. Die Galerie im Ajeto-Besucherzentrum gibt einen ersten Eindruck, wie hier mutiges Design für Innenarchitektur und Tischkultur mit der virtuosen Ofenarbeit der Glasmacher zusammen spielt. Zwischen der Galerie, einem Glas-Restaurant und dem Glasmuseum befindet sich eine runde Ofenhalle mit markanter Dachkonstruktion, die Novotný „Studio“ nennt – tatsächlich aber produzieren hier sechs Glasmacherteams an vier Glasöfen, sieben Tagen die Woche, ausgefallene Trinkglasgarnituren und Repliken.
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In der eigentlichen Glashütte in einer alten Textilfabrik in der Nähe hat heute nach dem Sommerurlaub die Arbeit wieder begonnen; seit heute wird mit einer neuen Feuerungstechnik geschmolzen, und ausgerechnet heute ist auch noch ein Hafen gesprungen. Und auch Ajeto spürt die Krise durchaus: Im Frühjahr hat man mit der Verkleinerung des Glasofens von acht auf sechs Arbeitslöcher reagiert. „Es sind schwere Zeiten“, sagt Novotný, aber man wird sich durchkämpfen – so wie die nordböhmischen Glasleute mit ihrem kreativen Blick nach vorn auch die Krisen der vergangenen vierhundert Jahre gemeistert haben.
In der letzten Woche ist ein slowakischer Investor bei Crystalex eingestiegen. Wenn das Angebot ernst gemeint ist, wird das Werk bald wieder Gläser fertigen, allerdings nur noch maschinell: Das bringt wieder Arbeit, meint Petr Novotný, „und wir tragen dann die Handfertigung weiter“. Dabei meint er mit diesem „wir“ nicht nur die eigene Glashütte, sondern die Manufakturen und Studios und die vielen Initiativkräfte der Region um Nový Bor und Kamenický Šenov.

Katharina Eisch-Angus

August 2009

Die PiratenPresse

aus der Gläsernen Arche

Übers Meer im Nirgendwo

schippert die Gläserne Arche. Mit ihr, immer treu, die Piratencrew. Donauobi moldauaufi bloggt die BordRedaktion. Piratensatire und schlimmere Wahrheiten, aus den Wässern zwischen Rachel und Lusen und Kubani.

Wer sind die Piraten, was geschah? Lesen Sie - samt Impressum:

Die Reise der Gläsernen Arche

Barbara-in-Cesk-Krumlov

PP Pragmatisch Praktisch kontraProduktiv

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im Rahmen des SYMPOSIUMS: ZWISCHENWELTEN IN HEIßEM...
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Weihnachten 2015 SAVE...
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Abriss in Frauenau: Nun...
Ein Landschaftsbild, fotografiert von einem Piraten...
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Mit an Bord der Glasarche...

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