Montag, 1. Dezember 2014

Grenz-Fall Eiserner Vorhang

Was sich ein Glasarche-Piraten beim Festakt „25 Jahre Fall des Eisernen Vorhangs“ auf dem Arber denkt:

Eine Ansprache an die politische Klasse bayerischerseits



"Ať mír dál zůstává s touto krajinou..."

"Dass der Friede bleibe auf diesem, ganzen Land.
Dass Zorn, Neid, Hass, Angst und Streit nun vergessen seien, vergessen seien -
Nun, wenn die Macht über deine Angelegenheiten zu dir zurückkommt, mein Volk, zu dir zurückkommt."

Das war schön auf dem Arber: Marta Kubišovás Lied aus dem Prager Frühling, das "Gebet für Marta". Das Lied, das im Gewaltakt von 1968 niedergerollt und 1989 wiedergesungen wurde: Nach zwanzigjährigem Schweigen hatte die Sängerin es zur Samtenen Revolution vom Balkon auf dem Wenzelsplatz gesungen, mit Václav Havel und Alexander Dubçek.

Eine tränenreiche Überraschung, ein schöner Einstand zum Festakt. Schön war es, die lachenden Gesichter zu sehen, die bayerischen und tschechischen Freunde. "Geht's gut?" - "Geht gut!"

Menschen machen Revolution.
Politiker machen daraus neue Macht.

"Dass der Friede bleibe auf diesem, ganzen Land!"

Schön, dass ihr dabei wart beim Festakt auf dem Arbergipfel, ihr Politiker und auch ein paar andere. Das aber müsst ihr auseinanderhalten:

Menschen machen Revolutionen.
Politiker machen Macht.

Das lässt sich wohl nicht ändern, denkt sich der Pirat.

Schön war es vom Arber herunterzuschauen auf den weiten Böhmerwald. Bayerisch Eisenstein, dahinter Železná Ruda, Böhmisch Eisenstein, als ob nichts gewesen wäre. Blauer Himmel, ein paar Wolken, ein paar Lichter weit dort unten, entlang der Straße, die über die unsichtbare Grenze führt.

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Menschen machen Revolutionen. Sehr selten, aber manchmal doch. Damit mal Schluss ist mit eurer Ordnung. Für einen Moment.

Dann macht ihr Politiker eine neue Ordnung daraus.

Große Namen habt ihr gesagt: Michail Gorbatschow, Václav Havel würden wir die Revolution verdanken, habt ihr gesagt. Okay. Aber Helmut Kohl? George W. Bush?? Sorry, da hängt was schief! Prominte pane Havle!

Denkt doch mal zurück, wie euch damals die Luft weggeblieben ist, euch Politikern, Landsmannschaftlern, Grenzschützern, Medieneinschreibern, wie euch der Eisenvorhang im Kopf gerasselt hat, geknarzt wie ein rostiges Tor, wie nichts mehr gepasst hat von eurer Ordnung. Die Demokratie, die Freiheit, das wart ihr, und dort das Böse, der Russ, der Tschech, der Kommunist. - Gerade so wie andersherum: Der Deutsche, der Revanchist, der Imperialist. Die Unkultur ist immer drüben.
Eh klar, habt ihr immer gesagt über die, die mit ihram Vohau und des is ja klar wenn eana nix ghert de kennans net anders de Kommunisten.

Schön wars aber doch mit euch auf dem Arber. Ein bissl wars wie damals, gleich nach der Grenzöffnung. Die Reden damals immer, einmal deutsch, dann tschechisch, dann tschechisch, dann deutsch, und immer so weiter, mit den Fahnen, der bayerischen, der deutschen, der tschechischen Fahne, mit der endlosen Geduld der Übersetzerinnen, bissl weniger Geduld bei den Leuten, die hätten zuhören sollen. Da wart ihr noch schüchtern, habt nicht gewusst, wie ihrs machen sollt mit den Ritualen, wie ihr miteinander reden sollt. Wo ihr doch nur Zaungäste wart am rostigen Eisernen Vorhang.

Menschen machen Revolutionen.
Politiker machen Langeweile.

Das war ein Moment, nur ein kurzer Moment, eine Schrecksekunde, habt ihr euch ganz schnell an der fallenden Grenze eingehalten. Ganz kurz - bis ihr gemerkt habt, dass ihr nur schnell euer Schwollschädelgrinsen in die Kamera halten müsst. Und bis ihr dann gemerkt habt, dass da drüben, beim Kommunisten, was einzunehmen ist, ein Markt, eine Kundschaft, eine kapitalistische.

Menschen machen Revolutionen so wie’s kommt.
Wenn der Moment da ist, in dem sie eure Angst und die ganze Macht überspringen können.
Die brauchen keinen Gipfel.

Die Freiheit auf dem Gipfel? Dreht euch um, wie ihr den Arbergipfel geopfert habt.
Habt ihr euch mit der Lufwaffe auf den Arbeitergipfel gehockt, ganz kurz bevor der Zaun gefallen ist, habt ihr dem Berg die Geschwüre des Kalten Kriegs aufgepflanzt.
Damit es alle sehen, und damit ihr alles seht, tief drin im bösen Osten, denn man weiß ja nie, und was vierzig Jahr gestimmt hat, das muss auch weiterhin so sein.

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Und dass euch ja nichts auskommt, habt ihr euch gedacht, kein Mensch mit einem farbigen Gesicht, mit einem langen Bart oder einem jungen Gang. Keiner von denen, die ihr zu Illegalen erklärt, weil es ihnen um ihr eigenes normales Leben geht, nicht um eure antikommunistische Freiheit.
Damit euch ja nix auskommt, habt ihr statt dem eisernen Zaun einen eisernen Schleier übers Land gelegt, habt ihr eure breitbeinigen Schleierfahnder an die Straßen und in die Züge posiert, damit alle wissen, dass eure Freiheit die eure ist und nur die eure.

Menschen machen Revolutionen.
Politiker machen Macht.

Gut, dass ihr da wart auf dem Arber. Gut vielleicht, dass ihr das gar nicht mehr wisst, wie ihr damals das Bollwerk hochgezogen habt, wie ihr angefangen habt auf dem Arbergipfel die Bayerische Ostmark betonieren, mit euren Grenzschutzfeiern und Sonnwendfeuern gegen den Tschechenansturm, wie ihr getönt habt in den 1920ern, und dann immer lauter in den 1930ern, habt ihr den Grenzschutz erfunden, die Berghütten erbaut zur Wacht gegen das Tschechentum, habt ihr gesagt, damit es niemand merken soll, wer da wen einnehmen will.

Vor 80 Jahren ist er hochgegangen, der Zaun. Vor 25 Jahren haben ihn die Menschen wieder eingerissen, die tschechischen vor allem.

Schön waren die Erinnerungen: wie jeder seinen Moment hat, als die Nachrichten kamen, die Tränen der Oma des bayerischen Landrats, die tschechischen Freunde des österreichischen Landrats, die das damals schon gesehen haben, dass die Österreicher auch Menschen mit zwei Beinen und zwei Armen sind. Und dann die Ergriffenheit des südböhmischen Landeshauptmanns, die Erinnerung an den Zaun von drinnen aus gesehen, wie der zum Alltag gehörte, immer da war, immer da sein würde.
Das Nachzählen, wie alt man damals wohl war, die Bubenfantasien. Die Gefühle des Ministers.

Was für eine Politveranstaltung, wo man von Tränen spricht, wo Tränen fließen.
Was für einen Generation, die Generation des Eisernen Vorhangs, wo alle bei denselben Liedern und Bildern anfangen zu weinen.
Das haben wir gemeinsam, diese Bilder, diese Erinnerungen. Das Festhalten-Wollen, wo wir damals waren, was wir gesagt, gedacht, gefühlt haben, als es passiert ist.

Und waren das nicht die Fantasien, dass es anders sein könnte, dass man Grenzen überschreiten kann, die das möglich gemacht haben? Gebt's zu - das war die Hartnäckigkeit der Träumer, Andersdenker, Schüler, Studenten. 'Von lauter solchen wie die, die ihr damals Chaoten geheißen habt, Kommunisten oder einfach nur Studenten.
„Geht doch rüber, wenn es euch nicht gefällt“, habt ihr uns immer geheißen.
Geht doch rüber, wo der Russ sitzt, der Tschech, der Böhm, dem nix gehört, der vielleicht ja nichts dafür kann für seinen Verhau, weil ihm nix gehört und er es eh nicht anders weiß. Habt ihr immer so gesagt und so ähnlich.

Das war ja auch bequem zu wissen, wo der Russ ist und wo wir sind und nichts dazwischen, außer ein guter eiserner Zaun und unsere Grenzpolizei und unser Grenzschutz und die anderen haben auch gut aufgepasst, dass da nix durcheinander kommt.

Friede und Freiheit, hat ihr am Arber gesagt, der Minister, der Abgeordnete in Europa, und ist mir das so bekannt vorgekommen. Wie das war mit Frieden und Freiheit damals, Kanonenfrieden und Wahlkampffreiheit, mit Franz Josef Strauss und dem Defiliermarschgetöse in der Nibelungenhalle, den Kraftsprüchen, euren Kameras und der Polizei weil könnte ja ein Chaot und ein Student...

Menschen machen Revolutionen. Politiker machen Macht.

Freiheit für Europa - freier Blick aufs Mittelmeer, so hat man damals gesagt. Im Mittelmeer, da beweist sich eure Freiheit, jetzt, wo der eiserne Zaun gefallen ist. So viele wie damals am Eisernen Vorhang umgekommen sind, ertrinken da in einer guten Woche.
Wer mag da reden vom Traum von Freiheit.

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Ist schon recht, dass ihr da seid. Dass ihr nun da sitzt mit euren Männerrücken.

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Und dann ist es auf einmal doch noch eine andere Geschichte, die Geschichte der Menschen von drüben, die diesen Sprung in die Freiheit getan haben.

Da hatte sich der Saal schon geleert, als die Frauen angefangen haben zu erzählen.

Als Manuela Raduenz von ihrem Sprung erzählte, damals über den Botschaftszaun in Prag. Wie sie erzählte von der Prager Studentin, die ihr den Weg zur Botschaft gewiesen hatte, von den tschechischen Menschen, die Essen durch den Zaun reichten.
Dann, die Erinnerung an das Warten und das Gefühl, wenn andere über den Zaun ins Ungewisse sprangen:
"Immer, wenn jemand gesprungen ist, haben wir das in unserem ganzen Körper gespürt, es könnte etwas passieren und uns zurückhalten."
Das Gefühl, als ein Baby über den Zaun geworfen wurde, als das Bündel in ihre Arme fiel.

Das meint nicht die Parolenfreiheit aus dem Kalten Krieg, nicht die Freiheit der Wirtschaftsmacher, der Großprojekte mit euerem - unserem - EU-Geld.

Als Lída Rakusan vom Bangen der ersten Revolutionstage erzählte, von Havel und den Dissidenten, vom Durchschneiden des Grenzzauns. Und vom Generalstreik: ein ganzes Land vereint gegen die Politik, ein ganzes Volk, das sich die Macht nimmt. In derselben Minute, denselben zwei Stunden des Generalstreiks am 27. November '89.


Das war dann doch nicht eure Geschichte. Da wart ihr dann doch lieber beim Büffet, unter euch.

Aber schön wars.

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Exklusiv für die Piratenpresse.
Damit da auch mal wieder was drinsteht.

Die PiratenPresse

aus der Gläsernen Arche

Übers Meer im Nirgendwo

schippert die Gläserne Arche. Mit ihr, immer treu, die Piratencrew. Donauobi moldauaufi bloggt die BordRedaktion. Piratensatire und schlimmere Wahrheiten, aus den Wässern zwischen Rachel und Lusen und Kubani.

Wer sind die Piraten, was geschah? Lesen Sie - samt Impressum:

Die Reise der Gläsernen Arche

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