Kopf Stein Herz Schlag
Ob Cheb, ob Frauenau –
wenn Stadt und Dorf ihr Herz verlieren
7. Mai 2009. Während ich schreibe, arbeitet hundert Meter weiter der Bagger, Pflastersteine höre ich in einen Lastwagen rumpeln.
Ich schreibe über die Stadt Eger, Cheb: berühmte freie Reichsstadt des Mittelalters, böhmische Grenzstadt voller Gegensätze und Extreme. Hier haben sich Macht, Nationalismus und Borniertheit ausgetobt; hier wurden – und werden wieder – Kultur undGemeinsamkeit, Konflikt und Diskussion gelebt.
Begonnen hat es in der alten Stadt, aufgebaut ab dem 11. Jahrhundert am Ort einer slawischen Festung. Noch heute heißt es hier „jádro mĕsta“, „Stadtkern“; über die Jahrhunderte sah man in der Altstadt die Geschichte, die Kultur, das Herz Egers. Sie blieb es trotz der Errichtung des weiträumigen Marktplatzes und der großartigen Egerer „Neustadt“ ab dem 13. Jahrhundert. Die alte Stadt überlebte Krieg und Feuer, die radikalen Stadt-Assanierungen um 1900, die Bomben des Zweiten Weltkriegs. Auch 1945 standen die malerisch an das Egerer Schloss gedrängten Gassen noch, mittelalterliche Häuschen, von denen jedes ein Gewerbe, ein Geschäft, eine Funktion hatte.
1946 leerten sie sich plötzlich: Die deutschsprachigen Bewohner wurden vertrieben, die Stadt von drei Vierteln ihrer Einwohner „gesäubert“. Neusiedler, Umgesiedelte, im Grenzgebiet Gestrandete campierten noch in den Altstadthäuschen, sie wurden „ausgewohnt“, verfielen. Als in den fünfziger Jahren Denkmalslisten und Rettungspläne erstellt wurden, war der mittelalterliche Stadtkern schon abgerissen: Unbegreiflich. Aber so geschehen. Das neue Cheb brauchte die alte Stadt nicht mehr, man wollte keinen Kern, kein Herz.
Es war gerade die Zeit, als es – drei Autostunden nach Süden und auf bayerischer Grenzseite – in Frauenau, einem notorisch roten Glasarbeiterdorf, allmählich aufwärts ging. Zwei, bald schon drei Glashütten bedienten die neuen Konsumwünsche der Deutschen, gut tausend Glashüttenleute schufen an den Glasöfen und Schleifmaschinen fein dekorierte Kristallgläser und, in Gewerkschafts- und Vereinsgruppen wie auch im Gemeinderat, eine neue politische und soziale Kultur. Im Ortsbild wurde die Aufbruchstimmung mit der Pflasterung der holprig-staubigen Hauptstraße sichtbar: Nun verband das Kopfsteinpflaster mit seinem schwingenden Bogenmuster dorfaufwärts und dorfabwärts die Gasthöfe und kleinen Geschäfte miteinander, mit dem Grün des Eibl-Biergartens und den geduckten Glasmacherhäuschen.
Daran ist weiter nicht Besonderes – außer, dass die Pflasterdecke dreißig Jahre lang die Beton- und Bereinigungswut der sechziger und siebziger Jahre überstand. Erst 1979 standen die Zeichen endgültig auf Asphalt, man wollte modern sein und man hatte Autos, und Autos wollen fahren – durchfahren, durchpreschen. Ein paar Kulturleute, Schüler, zwei Gemeinderäte aber wollten das Pflaster. In der Zeitung warnte der Künstler Erwin Eisch davor, „Geschichte, Handarbeit und Leben“ des nun so genannten „gläsernen Herzen“ des Bayerischen Waldes zu opfern. Es wurde gestritten, diskutiert, und dann wurde wenigstens im Dorfkern das alte Pflaster neu verlegt, und der sozialdemokratische Dorfbürgermeister stand nun für den Rest so liebevoll ein wie seine „Aurer“ jahrzehntelang für ihren Alfons Hannes. Für Frauenauer und Besucher wurden das Pflastermuster und das abbremsende Rumpeln unter den Reifen zu einem Erkennungszeichen, nicht wenigen bedeutete es einen Ort, der anders war, der „Kultur“ hatte und Herz.
2008 stehen Häuser, Geschäfte und Schaufenster entlang der Dorfstraße leer und öde, die Glashütten beschäftigen keine zehn Glasmacher mehr. Mit neuem Bürgermeister und neuen Gemeinderäten, die keine Glasleute mehr sind, soll das Pflaster wieder weg. Nun aber ist es eine Zeit, in der überall in der Region, überall in Europa die Ortskerne zurücksaniert und zurückgepflastert werden, sofern man es sich leisten kann – nur in Frauenau zahlt der Staat sogar die Pflastersanierung: Vielleicht aus diesem Grund sagen die Gemeindeoberen die eigene Meinung nicht so laut, die lässt sich im Dorf auch anders vermitteln. Aber man unterbindet städtebauliche Informations- und Diskussionsanliegen und macht, per „Volksentscheid“, auf Demokratie. Eine Handvoll Autofahrer und Dorfsäuberer, gut ein Viertel der Wahlberechtigten, nimmt den Ortsvertretern im Januar 2009 das Entscheiden und Planen ab. Auch das ist unbegreiflich, aber so geschehen.
Was aber hat ein halber Kilometer Ortsdurchfahrt mit der historischen Stadt Eger und der großflächigen Vernichtung mittelalterlichen Kulturerbes zu tun? Wenig – ein Vergleich ist kaum angesagt. Nur ein paar Querverbindungen drängen sich auf: Auch in Eger wüteten die Bagger im Namen des Volkes. Sie versteckten sich hinter einer Ideologie, die den wirtschaftlichen und sozialen Niedergang „Aufbruch“ und „Gemeinschaft“ nannte, und deren Selbstbehauptung den Ausschluss anderer brauchte: zuerst die Vertreibung der deutschen Einwohnerschaft, bald die Verfolgung aller Andersdenkenden. Das Fundament bildeten Nazi-Terror und Totalitarismus. Auch der hatte klein angefangen, er brauchte die Dörfer, Nachbarschaften, Stadtkommunen, um Wurzeln zu schlagen.
2009 hat sich das kleine Frauenau verändert, nun wird hier ausgegrenzt, kaltgestellt und denunziert, es trifft Kultur- und Kunstmacher. Sündenböcke werden konstruiert: für das neue, wunderschöne – viel zu schöne – Glasmuseum, das über die eigene und zugleich so internationale Kultur berichtet, und das man doch nicht will und nicht versteht. Für die in den langen guten Jahren angehäuften Schulden, für den Niedergang des Orts im Schatten der Globalisierung. Auch hier geht man nicht laut und offen vor, versteht man es doch, sich durch Schulterklopfen der Mitläufer zu versichern, und ein bisschen Angst darf ruhig dabei sein.
Allerdings sind die Ausgegrenzten doch ein bisschen laut geworden und haben die Karten offen gelegt. Im März 2009 gab Erwin Eisch sogar seinen Ehrenbürgerbrief zurück, um ein Zeichen zu setzen für „Toleranz und Weltoffenheit, Kultur und Kreativität“, es ist auch ein Hilferuf. Das weitgespannte Netz von Frauenau-Freunden, das Kulturpublikum, das den eigenwilligen Glas- und Kunstort liebt, reagiert solidarisch, aber auch irgendwie verständnislos. Im Dorf gehen die Intrigen weiter, Diskussion wird niedergehalten, und die Handlungsalternativen der örtlichen Kulturmacher erinnern irgendwie an die böhmischen Dörfer der ČSSR: Weggehen oder wegschauen, privater Rückzug oder öffentliches Mitmachen. Es scheint, dass mit dem Kopfsteinpflaster auch die Zähne der bisher so besonderen Kulturszene gezogen wurden.
Ob Eger oder Frauenau: Die bauliche Verödung der Städte und Dörfer kommt aus der sozialen Verwüstung. Das letzte Rumpeln der Pflastersteine könnte da auch nur ein Anfang sein.
Katharina Eisch-Angus
wenn Stadt und Dorf ihr Herz verlieren
7. Mai 2009. Während ich schreibe, arbeitet hundert Meter weiter der Bagger, Pflastersteine höre ich in einen Lastwagen rumpeln.
Ich schreibe über die Stadt Eger, Cheb: berühmte freie Reichsstadt des Mittelalters, böhmische Grenzstadt voller Gegensätze und Extreme. Hier haben sich Macht, Nationalismus und Borniertheit ausgetobt; hier wurden – und werden wieder – Kultur undGemeinsamkeit, Konflikt und Diskussion gelebt.
Begonnen hat es in der alten Stadt, aufgebaut ab dem 11. Jahrhundert am Ort einer slawischen Festung. Noch heute heißt es hier „jádro mĕsta“, „Stadtkern“; über die Jahrhunderte sah man in der Altstadt die Geschichte, die Kultur, das Herz Egers. Sie blieb es trotz der Errichtung des weiträumigen Marktplatzes und der großartigen Egerer „Neustadt“ ab dem 13. Jahrhundert. Die alte Stadt überlebte Krieg und Feuer, die radikalen Stadt-Assanierungen um 1900, die Bomben des Zweiten Weltkriegs. Auch 1945 standen die malerisch an das Egerer Schloss gedrängten Gassen noch, mittelalterliche Häuschen, von denen jedes ein Gewerbe, ein Geschäft, eine Funktion hatte.
1946 leerten sie sich plötzlich: Die deutschsprachigen Bewohner wurden vertrieben, die Stadt von drei Vierteln ihrer Einwohner „gesäubert“. Neusiedler, Umgesiedelte, im Grenzgebiet Gestrandete campierten noch in den Altstadthäuschen, sie wurden „ausgewohnt“, verfielen. Als in den fünfziger Jahren Denkmalslisten und Rettungspläne erstellt wurden, war der mittelalterliche Stadtkern schon abgerissen: Unbegreiflich. Aber so geschehen. Das neue Cheb brauchte die alte Stadt nicht mehr, man wollte keinen Kern, kein Herz.
Es war gerade die Zeit, als es – drei Autostunden nach Süden und auf bayerischer Grenzseite – in Frauenau, einem notorisch roten Glasarbeiterdorf, allmählich aufwärts ging. Zwei, bald schon drei Glashütten bedienten die neuen Konsumwünsche der Deutschen, gut tausend Glashüttenleute schufen an den Glasöfen und Schleifmaschinen fein dekorierte Kristallgläser und, in Gewerkschafts- und Vereinsgruppen wie auch im Gemeinderat, eine neue politische und soziale Kultur. Im Ortsbild wurde die Aufbruchstimmung mit der Pflasterung der holprig-staubigen Hauptstraße sichtbar: Nun verband das Kopfsteinpflaster mit seinem schwingenden Bogenmuster dorfaufwärts und dorfabwärts die Gasthöfe und kleinen Geschäfte miteinander, mit dem Grün des Eibl-Biergartens und den geduckten Glasmacherhäuschen.
Daran ist weiter nicht Besonderes – außer, dass die Pflasterdecke dreißig Jahre lang die Beton- und Bereinigungswut der sechziger und siebziger Jahre überstand. Erst 1979 standen die Zeichen endgültig auf Asphalt, man wollte modern sein und man hatte Autos, und Autos wollen fahren – durchfahren, durchpreschen. Ein paar Kulturleute, Schüler, zwei Gemeinderäte aber wollten das Pflaster. In der Zeitung warnte der Künstler Erwin Eisch davor, „Geschichte, Handarbeit und Leben“ des nun so genannten „gläsernen Herzen“ des Bayerischen Waldes zu opfern. Es wurde gestritten, diskutiert, und dann wurde wenigstens im Dorfkern das alte Pflaster neu verlegt, und der sozialdemokratische Dorfbürgermeister stand nun für den Rest so liebevoll ein wie seine „Aurer“ jahrzehntelang für ihren Alfons Hannes. Für Frauenauer und Besucher wurden das Pflastermuster und das abbremsende Rumpeln unter den Reifen zu einem Erkennungszeichen, nicht wenigen bedeutete es einen Ort, der anders war, der „Kultur“ hatte und Herz.
2008 stehen Häuser, Geschäfte und Schaufenster entlang der Dorfstraße leer und öde, die Glashütten beschäftigen keine zehn Glasmacher mehr. Mit neuem Bürgermeister und neuen Gemeinderäten, die keine Glasleute mehr sind, soll das Pflaster wieder weg. Nun aber ist es eine Zeit, in der überall in der Region, überall in Europa die Ortskerne zurücksaniert und zurückgepflastert werden, sofern man es sich leisten kann – nur in Frauenau zahlt der Staat sogar die Pflastersanierung: Vielleicht aus diesem Grund sagen die Gemeindeoberen die eigene Meinung nicht so laut, die lässt sich im Dorf auch anders vermitteln. Aber man unterbindet städtebauliche Informations- und Diskussionsanliegen und macht, per „Volksentscheid“, auf Demokratie. Eine Handvoll Autofahrer und Dorfsäuberer, gut ein Viertel der Wahlberechtigten, nimmt den Ortsvertretern im Januar 2009 das Entscheiden und Planen ab. Auch das ist unbegreiflich, aber so geschehen.
Was aber hat ein halber Kilometer Ortsdurchfahrt mit der historischen Stadt Eger und der großflächigen Vernichtung mittelalterlichen Kulturerbes zu tun? Wenig – ein Vergleich ist kaum angesagt. Nur ein paar Querverbindungen drängen sich auf: Auch in Eger wüteten die Bagger im Namen des Volkes. Sie versteckten sich hinter einer Ideologie, die den wirtschaftlichen und sozialen Niedergang „Aufbruch“ und „Gemeinschaft“ nannte, und deren Selbstbehauptung den Ausschluss anderer brauchte: zuerst die Vertreibung der deutschen Einwohnerschaft, bald die Verfolgung aller Andersdenkenden. Das Fundament bildeten Nazi-Terror und Totalitarismus. Auch der hatte klein angefangen, er brauchte die Dörfer, Nachbarschaften, Stadtkommunen, um Wurzeln zu schlagen.
2009 hat sich das kleine Frauenau verändert, nun wird hier ausgegrenzt, kaltgestellt und denunziert, es trifft Kultur- und Kunstmacher. Sündenböcke werden konstruiert: für das neue, wunderschöne – viel zu schöne – Glasmuseum, das über die eigene und zugleich so internationale Kultur berichtet, und das man doch nicht will und nicht versteht. Für die in den langen guten Jahren angehäuften Schulden, für den Niedergang des Orts im Schatten der Globalisierung. Auch hier geht man nicht laut und offen vor, versteht man es doch, sich durch Schulterklopfen der Mitläufer zu versichern, und ein bisschen Angst darf ruhig dabei sein.
Allerdings sind die Ausgegrenzten doch ein bisschen laut geworden und haben die Karten offen gelegt. Im März 2009 gab Erwin Eisch sogar seinen Ehrenbürgerbrief zurück, um ein Zeichen zu setzen für „Toleranz und Weltoffenheit, Kultur und Kreativität“, es ist auch ein Hilferuf. Das weitgespannte Netz von Frauenau-Freunden, das Kulturpublikum, das den eigenwilligen Glas- und Kunstort liebt, reagiert solidarisch, aber auch irgendwie verständnislos. Im Dorf gehen die Intrigen weiter, Diskussion wird niedergehalten, und die Handlungsalternativen der örtlichen Kulturmacher erinnern irgendwie an die böhmischen Dörfer der ČSSR: Weggehen oder wegschauen, privater Rückzug oder öffentliches Mitmachen. Es scheint, dass mit dem Kopfsteinpflaster auch die Zähne der bisher so besonderen Kulturszene gezogen wurden.
Ob Eger oder Frauenau: Die bauliche Verödung der Städte und Dörfer kommt aus der sozialen Verwüstung. Das letzte Rumpeln der Pflastersteine könnte da auch nur ein Anfang sein.
Katharina Eisch-Angus
Bordredaktion - 2009-05-07 18:32